Krank also!
Es geht bei dir, das hoffe ich, primär doch um körperliche Probleme, denn du begründest zum Beispiel – sehr gekonnt, sehr plastisch, ja, fast literarisch –, warum du den PC in der letzten Zeit kaum benützt und deine E-mail-Adresse außer Betrieb genommen hast ... und wie einfach es ging.
Du hast recht!
Mit den E-mails kann es eine Plage sein. Ich habe es mir ebenfalls überlegt – aufhören! Total! Keine elektronische Post mehr! Möglicherweise ab dem nächsten Jahr. Nicht aus snobistischen Gründen, nein, das kommt jetzt oft vor – bei euch auch? Vielleicht nicht. Noch nicht. Hier aber schon. Neuerdings.
Ein neues Statussymbol ist das halt: Nicht mehr ein Ferienhaus – in den Bergen oder am Meer – wie früher, schon gar nicht ein zweiter Wagen, ein Siebenplätzer oder ein Jeep mit Vierrad-Antrieb, Sahara-tauglich ... heute eher peinlich.
Hier sind zurzeit terminfreie Räume „in“: absolut leere Zeitfenster, unbesetzte Nachdenkbereiche, stille Meditationsnischen, ungestörte Philosophie-Oasen. Ich muss doch nicht unbedingt wissen, wo Hanspeter in den Ferien war und wie sich dort das Wetter verhielt. Und ich will auch kein schlechtes Gewissen bekommen, wenn ich ihm umgehend keine tröstende oder aufmunternde E-mail-Antwort sende.
Die Menschen gewöhnen sich mit der Zeit daran, dass du ohne E-mails lebst ... habe ich mir sagen lassen. Einige, meistens sind es Freunde,  knirschen – zu Beginn – mit den Zähnen. Das sei aber ein Problem der anderen, nicht deins. Man gebe jetzt nur die iPhone-Nummern weiter, in erster Linie an die Familie, dann an die nächsten Freunde und zuletzt an einige handverlesene und wichtige Geschäftspartner.
Ich will es dir bald nachmachen, praktisch ohne E-mails, und später – eventuell – ohne PC leben, was auch heißen mag: mehr Zeit haben, mehr Muße, mehr Freiheit ... ja, langfristig noch mehr Freiheit.

Die neuen Technologien bemächtigen sich unser immer raffinierter, nicht durch eine Revolution, durch einen auffallenden, bösen Gewaltakt, nein, sie wirken langsam, unbemerkt, wenn du willst, fast heimtückisch. Sie bringen uns in Abhängigkeiten, und das mag ich nicht, dagegen muss ich mich wehren.
Und noch etwas, Danny, was mir in den letzten Jahren viel Unbehagen bereitet: Das Faktum, dass die Grenzen zwischen unserer Körperwelt und der elektronischen Welt immer unklarer werden und allmählich verschwinden. Da frage ich mich natürlich, was tun wir hier, wohin gehen wir, was wird mit uns geschehen? Und was für ein Leben erwartet unsere Kinder und Enkel?
Wir vermögen uns, das hoffe ich, mit manchen Dingen zu arrangieren oder dagegen tapfer zu kämpfen; die Frage ist nur – wie lange noch? Immerhin, 2004 wurden die ersten Implantate – mit ferngesteuerter Wirkstoffabgabe – zugelassen. Sie verbinden uns mit der Welt der Dinge ... nein, vernetzen, das ist das genauere Wort.
Möglicherweise sollten wir uns schon jetzt deutlicher wehren, ja, aufmüpfiger oder gar rabiater werden. Die elektronische Welt darf leistungsfähig, stark und nützlich sein, aber nicht allmächtig. Denn dann müssten wir nur das neue Diggi-Vatti-Unser beten:

„Netzwerk unser –
du bist das Leben –
gepriesen werde dein System –
deine Zeit komme –
deine Berechnung geschehe –
nicht mehr auf Erden –
sondern im Cyberspace –
unsere tägliche Information gib uns heute –
und vergib uns lieber keine Schuld.“ *


Ohne PC also!
Gut! Du bist der Erste, der Experimentator, der Vorreiter. Mein Glückwunsch! Ich ziehe nur nach. Wie damals in der alten, guten Gymizeit und unseren folgenden und ziemlich wilden Eishockeyjahren.
Ach nein, Spaß beiseite! Ich weiß doch gar nicht, wo du dich jetzt gerade aufhältst, wie du dich fühlst und wie es dir tatsächlich geht. Meine flapsigen Sprüche sind vielleicht gar nicht am Platze.

* Erhart E. Taverna, SAEZ CH, Nr.18/2012

Leseprobe aus dem Buch DER ZUFALL

(In Vorbereitung)